Tagtäglich. Das Puchheimer Tagebuch

Von München nach Puchheim

Donnerstag, 17. August 2006

Von München nach Puchheim – fast ein Neubeginn

Von München nach Puchheim – fast ein Neubeginn

Dass wir mit einer hohen urbanen Alltagsbequemlichkeit ausgestattet waren - kurze Berufswege, nahe, viele und zeitgünstige Verkehrsanbindungen und vielfältige Einkaufsmöglichkeiten in greifbarer Nähe sowie abwechslungsreiche kulturelle Angebote, etc., wurde uns erst viel später bewusst.

Zunächst träumten wir, Vater, Mutter und Kind, vom Häuschen auf dem Lande. Der Zeitgeist war für das Aussiedeln aus der Stadt. An allen Ecken und Enden wurde dafür geworben und wir gingen, wie viele junge Familien an den Wochenenden zu Musterhausbesichtigungen in die Region von München. Wir mussten uns erst an den gärtnerisch kahlen und nüchternen Siedlungsbau gewöhnen und unsere Wünsche und Vorstellungen, die sich an unserer bisherigen Wohnung orientierten, umstellen: Wir hatten einen Mietanteil in einer schönen alten Villa am Waldfriedhof mit einem traumhaften Rosengarten.

Am Ende einer ermüdenden Eigenheim-Such-Besichtigungstour kamen wir auf dem Weg von Gröbenzell nach München bei Puchheim an einem „Musterhaus-zu-besichtigen-Schild“ vorbei. Nach kurzer Beratschlagung wollten wir uns dies als Tagesabschluß auch noch antun und hatten ohne großes Palaver unser Haus gefunden. Wir sahen im Geist unser bisheriges Leben in die ländliche Idylle verlegt, nach Puchheim-Ort in das Gebiet der heutigen Fischerstraße.

Kaufvertrag, Finanzierungsstrategie, alles war spannend und uns trug eine Welle freudiger Erwartung. Die negativen Aufregungen kamen später in steigendem Maß.
Die Bauphase begann 1972, alles schien normal bis der Bauträger bankrott ging. Ein Teil des Geldes war für uns verloren. Und es wurde finanziell eng. Hinzu kam, dass unser Vermieter verstarb und seine Erben die bisherige Miete verdoppelten. Die Zweifachbelastung und der langsame Baufortschritt nagte nicht nur an Nerven und Geldbeutel, sondern auch an der Freizeit: Eigenleistungen wurden notwendig.

Wir lebten plötzlich zwischen zwei Welten: einer städtischen von immer geringerer Bedeutung und der zeitraubenden Welt des Bauens. Der Einzug 1973 in das noch nicht ganz fertige Haus erwies sich als eine von vielen Etappen im gesamten Umlernprozeß. Wir wohnten nun – und das für Jahre – auf einer Großbaustelle. Immerhin umfasst die Fischersiedlung 71 Häuser und unser Haus war eines der ersten. Gummistiefel stiegen jetzt zum wichtigste Kleidungsstück auf.

Die Situation barg natürlich auch eine Komik in sich: Anstelle von Terrasse und Garten bestand lange noch eine tiefe Baugrube, in der mein Mann für mich Wäscheleinen aufspannte. Mein Abstieg mit vollem Wäschekorb erforderte einige Akrobatik und war immer eine Lachnummer für die Familie und wohl nicht nur für sie.

Unser Alltagsleben gestaltete sich immens schwierig. Der Berufsweg war ungewohnt lang und unsere Zeitplanung, immer noch am ‚alten Leben’ orientiert, funktionierte nicht mehr. Der Begriff Neusiedler war plötzlich keine leere Bezeichnung mehr, sondern füllte sich mit Inhalt: wir mussten umlernen, uns die ländlichen Infrastrukturen bewusst machen und von langer Hand alles vorausplanen – Einkauf, nach München fahren, usw.. Plötzlich wurde das Rad zum Einkaufen wichtig, wie damals allgemein für Frauen auf dem Land, ebenso die Taschenlampe, um den Weg am dunklen Wintermorgen/-abend auszuleuchten, denn Straßenbeleuchtung gab es im Neubaugebiet vorerst nicht.

Puchheim-Ort, ein überschaubares Dorf mit Menschen, die schnell für uns zu Individuen wurde, war ein Neuanfang, dies auch in einem ganz speziellen Sinn. Als uns eines Tages Bürgermeister Emil Sollinger als Neusiedler zum Stadelfest vom Gasthof Huber einlud, hatte er die Idee, dass wir uns auch selbst einbringen sollten. Er sah die Gitarre des Sohnes, wusste, dass mein Mann in einem Chor in München sang, und meinte wir sollten doch singen. Der Gedanke machte uns Bauchschmerzen, gleichzeitig fühlten wir uns aber auch verpflichtet, in einer Gesellschaft, die im Unterschied zum urbanen beziehungslosen Nebeneinanderher auf Bekanntheit beruht, mitzumachen. Also übten wir mächtig, traten mit Herzklopfen auf einer gewaltig hohen Bühne an und sangen uns tapfer frei und in eine neue Berufung hinein: wir entdeckten uns als Familientrio.

Für meine Familie war es zum Teil ein musikalisch-instrumentaler Neubeginn. Mein Mann erlernte das Hackbrett-Spiel und mein Sohn Stefan nahm zur klassischen Gitarre, noch den Streichbaß und die E-Gitarre hinzu. Sie lernten mit großer Freude. Ich hatte bereits während meiner Kindheit durch meine Großmutter 5 Jahre Zitherunterricht und Harmonielehre bezahlt bekommen und nahm Stunden für Harfe und Hackbrett.

Ab 1977 begannen wir, bei festlichen Anlässen in Vereinen aufzutreten. Mit den Jahren folgten zahlreiche Auftritte im In- und Ausland. zu weltlichen und kirchlichen Anlässen, bei denen wir mit Instrumenten und Gesang die bayerische Musik pflegten. Hoagarten, Advents- und Passionssingen gehörten ebenso zu unserem Repertoire, wie die musikalische Begleitung von Autorenlesungen und Jubiläen. Über die Ehrung mit Laudatio und Urkunde im Münchner Rathaus durch Bürgermeister Uhde freuten wir uns sehr und sahen uns in unserem Bemühen um die musikalische bayerische Kultur bestätigt.

Unser Trio wurde später noch durch Martina, meine Schwiegertochter, bereichert, die alle Hackbrettvarianten spielte, dazu Gitarre, Ziach und für die Tanzmusik Geige und Baß.
Diese Zeit brachte uns viele Freund- und Bekanntschaften mit anderen Musikgruppen ein und als die „Familienmusik Hilmer“ ihr 20 jähriges Bestehen feierte, gestalteten zahlreiche befreundete Musikantengruppen mit uns den Festabend, zu dem wir neben den Puchheimern und den gemeindlichen Honoratioren auch die Gruppen der Puchheimer Partnerschafts-gemeinden einluden und begrüßen durften.

Neben dem Musizieren sind wir dem Gesang treu geblieben. Mein Mann trat 1976 dem Männergesangsverein Harmonie in Puchheim-Ort bei, während ich seit mehreren Jahren im Germeringer Kammer-Chor singe.

Die Frage, ob Puchheim ein „Schlafort“ ist, möchte ich für mich mit nein beantworten: Es liegt an jedem Einzelnen, wie er sein Leben hier gestaltet, inwieweit er sich selbst in die Gemeinschaft einbringt, sie mitgestaltet und anderem aufgeschlossen ist.

Hierzu fällt mir meine Unterschriftenaktion ein, die ich ca. 1975 startete, in dem ich in der Fischersiedlung von Haus zu Haus ging und die gefärhrliche Situation erklärte, die für Abbieger von der B2 in die Huchenstraße, die damals noch keine Ampelschaltung hatte, bestand. Ich entging in dieser Zeit knapp einem schweren Unfall. Die gesammelten Unterschriften legte ich in der Gemeinde vor und bat um Überprüfung der brisanten Situation. Für die erst sehr viel später eingerichtete Signalanlage bin ich heute noch dankbar.

Erni Hilmer, Puchheim-Ort

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